Archiv für den Monat Februar 2013

Arbeiten in einer fremden Stadt

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Arbeiten in einer fremden Stadt, das ist etwas anderes, als die Stadt als Tourist zu erkunden. Das erste Mal fiel es mir in den frühen 1990er Jahren in Rom auf, als ich dort einen Katalog produzierte. Die Stadt bekam Wege, die nichts mit Sehenswürdigkeiten zu tun hatten. In Jerusalem und Tel Aviv war es mir in den 15 Jahren regelmäßiger Besuche seit 1992 selbstverständlich, weil ich die beiden Städte (wie überhaupt das Land) nie touristisch besucht hatte. Ich beobachtete die Kunstszene und bereitete Ausstellungen und Kataloge vor.

In Peking habe ich jetzt seit gut einer Woche auch meine „Arbeitszeit“; ich muß einen zu Hause nicht fertig gestellten Katalogtext schreiben und einen anderen auf die Bedürfnisse der Publikation einkürzen. Die Wege sind mir jetzt, wie in Rom, vorgeschrieben, ich gehe sie selbstverständlich und schaue mir dabei die Menschen an, die mir jedesmal begegnen: die Studierenden einer nahen Hochschule (weiße Trainings-Schuluniformen) auf dem Hinweg, die in Restaurants, zum Einkaufen oder nach Hause gehenden auf dem Rückweg zum Arbeitsschluss. Die Straßen wechseln zwar nicht ihr Gesicht, aber sie setzen andere Akzente.

Parallel dazu lese ich möglichst häufig einer der englisch sprachigen Tagenszeitungen (Papier): China Daily.

Was wird mir da über die Welt und das Land mitgeteilt. Die aktuelle Ausgabe umfasst 24 Seiten und kostet 1,4 Yuan (ca. 18 cent).

Auf der unteren ersten Seite gibt es unter der Überschrift „Carrier docks at Qingdao“ ein Foto vom ersten chinesischen Flugzeugträger. Die Stadt Qingdao verfolgt mich seit unserem Besuch immer mit den Bereichen, die ich nicht gesehen habe: dem Hafen und auch mit seiner strategischen Bedeutung. Gestern gab es einen großen, farbigen doppelseitigen Beitrag über die Aufnahmeprüfungen an der Pekinger Theater- und Filmhochschule. „Reaching for the stars“ lautet der Titel und eine der Zwischenüberschriften sagt gleich, wie wichtig das ist: „For many, the persuit of acting is a family affair“, was nicht nur heißt, dass es ein sehnlicher Familienwunsch ist, eine berühmte Tochter zu haben, sondern auch, dass schon die ersten Schritte dazu viel Geld kosten. Flugtickets, Hotel und Training kosteten eine 48-jährige Mutter allein die Aufnahmeprüfung ihrer 20jährigen Tochter.

Stars sind Stellvertreter des Heimatgefühls und geliebte Identifikationsfiguren. Sie haben für unzählige Junge und Alte eine unglaubliche Anziehungskraft. Viele Moderatoren und Moderatorinnen der Fernsehsender werden geradezu auf dieses Starimage hin getrimmt.

Heute gibt es einen weiteren, auf der Titelseite angekündigten Bericht über die Prüfungen.

Marginal neben einem großen Artikel über die guten Investitionsaussichten für chinesische Firmen in den USA und der EU gibt es ein kleines schwarz-weiß Foto vom weltweit ersten Panda thematischen Hotel am Fuße der Emei Berge in Sichuan (einer der zehn heiligen Berge des Landes).

Interessanter ist aber die Analyse der Investitionsaussichten und die Begründungen dafür. Der chinesische Investment Experte Li Zhongzhou (ein früherer „official“ vom Wirtschaftsministerium) bedeutet, dass chinesischen Firmen helfen könnten neue Jobs in den USA zu schaffen, was mehr und effektiver sei, als die Furcht vor Technology-Klau und Jobverlust. Die Situation in der EU wird als nüchterner beschrieben und die Übernahme des deutschen Zement-Pumpen-Herstellers Putzmeister für 360 Mio.€ ausdrücklich erwähnt. In Europa sind die Chinesen vor allem am Infrastruktur-Markt interessiert.

Groß berichtet wird darüber, dass eine Petition in den USA eingebracht wurde, einen Tag des Frühlingsfestes (Lunar New Year) als offiziellen Feiertag anzuerkennen und den Studierenden frei zu geben. Von 14,7 Mio. Asiaten in den USA haben diese Petition aber nur 40.000 unterschrieben. Der Artikel nahm immerhin eine halbe Zeitungsseite ein. Auf der Rückseite zeigte eine Illustration, dass die Probleme der chinesischen Gesellschaft „House prices, Inflation, Shadow banking“ zu gefährlichen Schlaglöchern für den radelnden Panda-Bär werden können. Im weiteren wurde in den vergangenen drei Ausgaben über die Unterkunftssituaiton für junge Darstellerinnen („A safe home away from home for young aspiring actresses“) berichtet und über ein Sechuan Restaurant (beliebt für ihre scharfe Küche, vor allem beim „Feuertopf“), dass in Peking eröffnet wurde, aber keine Küche mehr hat. Alle Zutaten werden in separaten „clean, neat boxes“ aus Chengdu angeliefert. Da auf den Tischen wie beim Fondue selbst gegart wird, erübrigt sich eine Küche. Nicht mitgeliefert wird die Information über die dabei anfallenden CO2 Werte – eine einfache, interessante Meldung ist eben auch in sich kompliziert. Ansonsten scheint es eine wichtige Nachricht zu sein (steht direkt neben der Meldung), dass am Shanghai Bund ein Restuarant sich darum bemüht, einen Ruf durch das Styling der amerikanischen Prohibitions-Zeit der 1920-30er Jahre zu erhalten. Coctails im Stil der schwarz-weißen Gangsterfilme der Zeit. – Man sieht, durch das Styling der Bars und Restaurants wird auch der Geschmack der Leser gestylt.

Krankenhaustag 26.02.

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Xiao fühlte sich gestern Abend und heute Morgen krank. Erkältung. Fieber. Letzteres war Einbildung. Bis 10.00 Uhr geschlafen. In der Nacht um 5.00 Uhr hatten wir versucht, den Master-Studienplatz in Hildesheim zu retten. Denn natürlich kam die Information über den gewünschten Studienplatz nur bis zur Gerberstrasse, nicht aber bis Peking.

Nach dem Aufstehen Schluckbeschwerden, Anruf beim Praktikum: heute krank. Kein Frühstück, aber doch ein par Löffel Obstsalat. Dann etwa 20 Minuten Fussweg zu einem großen rosa Gebäude: Hainan Clinic. Die große, Wichtigkeit vortäuschende Treppe herauf, Schalter, an denen man sich eine Berechtigung (= Warteschein) kauft. Nein, hier sind wir falsch. Mit ausholenden Armbewegungen markiert, wieder raus und nach rechts. Der Haupteingang des rechten Nebengebäudes ist schon fast ebenerdig. Nein, hier falsch, gegenüber – ein weißes zusammengestückeltes Gebäude, dem man schmeichelt, wenn man von einem Containerbau spricht. Da gibt es keine Kassen mehr, nur noch einen Thresen , der einen Gang verengt. Dahinter ein Cerberus, also: unfreundlich. Gleichförmige Fragen, gleichförmige Antworten. Alle, die hier herumlaufen, tragen einen bläulich-weißen Mundschutz. Das ist das erste, was Xiao bekommt. Kosten: 5 Mao; spricht sich wie Mao, schreibt sich aber anders und ist die kleine Zehnereinheit von 1 Yuan (vergleichbar 10 Pfennigen oder 10 Cent). Ein Termometer überreicht, mit dem die Temperatur gemessen werden soll. Auf Aufruf abgeben. Kein Fieber. Fieber hätte bedeutet: Infusion. Nach weiteren Fragen nach er Befindlichkeit die Frage, ob ich mit warten würde. Dann brauchte ich auch einen Mundschutz. Sonst: im Angesicht des Cerberus sitzen bleiben. Also nochmals 5 Mao (= ca. 0,6 cent)

Fünf Schritte in einen Quergang. Erstes Fenster, aufgeschoben, Patientenheftchen und gelben Zettel rein, Heftchen wieder raus, Geld nachgereicht, gelber Zettel wieder raus, Fenster zu. Warten. Nicht alle laufen hier mit einem Mundschutz rum. Wer sich auskennt oder einfach dreist ist, geht so durch die Station, in der offensichtlich überwiegend oder sogar ausschließlich Erkältungspatienten sind. Heute weitgehend leere Infusions-Zimmer. Freundlich klein. Ich kenne sie aus meinen zwei Krankenhausaufenthalten in Jingdezhen und Nanjing als Säle. Die Ärztin ist frei. Kurzes Gespräch, dann wieder auf den Gang zum zweiten Fenster. Fenster auf, Hand rein, großes Zucken, Hand raus. Warten. Fenster zu. Aufruf, Zettel aus dem zweiten Fenster. Die Blutwerte. Wieder zur Ärztin. Abhorchen, mehr kann ich nicht sehen. Bald darauf geht Xiao zum dritten Fenster. Fenster auf, Zettel rein, Zettel raus, Geld rein, Fenster zu. Den Gang entlang zu einem für mich nicht einsehbaren Fenster. Mit einer Handvoll Medikamenten kommt Xiao wieder. Sie sagt: zu wenig Schlaf und Erkältung. Ein paar Tage nicht arbeiten. Geht nicht, sagt sie. Das ist ihr Problem, sagt die Ärztin. Und wir gehen. Zeit insgesamt: 30 Minuten. Kosten: 4 Yuan für die allgemeine Behandlung, 20 Yuan fürs Blutbild und 63 Yuan für Medikamente. Nicht zu vergessen 2x 5Mao für den Mundschutzt. Zusammen: 88 Yuan = ca. 10,50 €

Ich gehe weiter zur Bibliothek des Goethe Instituts, Xiao zurück ins Bett.

Das Wetter war schon richtig frühlingshaft.

So einen Krankenhausbesuch kann man nicht fotografieren, da verschwände die gesamte Skurrilität. Aber im Kopf bleiben vor allem die Bilder des Flures und der Fenster. Einen Versuch eines Fotos habe ich doch gemacht. Von den Menschen hinter den nur höchstens 20 cm weit aufgeschobenen Fenstern habe ich nichts gesehen, nur ihre Stimmen gehört. Sozialistische Medizin ist sehr transparent (wenn sie durch den Infusionsschlauch läuft).

Auf das Foto muss ich heute wohl verzichten, es dauert unendlich lange, bis es hochgeladen ist.

Today Art Museum 2

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Mein Interesse für die Malerei von Zhong Biao enstpann sich zu einem guten Teil an der Präsentation. Die Gemälde haben unterschiedliche Formate, hingen in unterschiedlichen Höhen rings um einen fast rechteckigen Raum und wurden gewissermaßen eingerahmt von großen roten chinesischen Zeichen und schwarzen chinesischen Texten. Entziffern konnte ich nur die Jahreszahlen auf den Gemälden; sie schienen sich beim ersten Bemerken auf den Zeitraum des ersten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert zu beziehen. Ich ordnete sie für mich als Jahresbilder ein. Dazu passte, dass immer wieder gleiche Stilelemente auftauchten, aber im Grunde keine narrative Kontinuität zu erkennen war. Die Texte auf den Wänden umgaben die Gemälde so, dass sie unbedingt zueinander gehörten mussten. Also war nur ein gemeinsames Verstehen sinnvoll. Xiao war weitaus langsamer voran gegangen, denn sie hatte die Texte um das jeweilige Bild alle gelesen. Fragend teilte ich ihr mit, dass ich die Gemälde für Jahresbilder halte. Sie formulierte es als „Bilder zu Wörter-Umräumen“.

In den Texten, die offensichtlich nicht in einer Alltagssprache verfasst waren, kamen immer wieder sehr einfache Ausgangssituationen vor – wie der Hinweis auf den sexy Körper und das abweisende Gesicht. Es sind alltägliche Ausgangssituationen – oder: der Focus junger Leute in China (und auch anderswo). Und daran werden Reflektionen gehängt, die in manchmal sehr abstrakten Formulierungen historische und in der chinesischen Kultur immer noch verankerte Prinzipien berühren und neu beleben.

Ein Versuch, wenige Sätze der Texte beispielhaft zu verbinden:

zu „Inspiration und Automatismus“: mit den Geschichten, die ich aus der Vergangenheit herausholen kann, frage ich nach der Wahrheit…Vielleicht kann uns eine Zeitmaschine etwas über die Zukunft sagen…Die Geschichte der Zeit kann nicht unbegrenzt sein. Die Geschichte der Zeit kann nicht überschritten werden…Gehe ich bei der Sendersuche im Radio von einer Station zur anderen, entsteht ein lärmendes Geräusch; das Geräusch ist die Stimme der Explosion des Universums.

In der ständigen Sammlung des Museums, die in einem anderen Gebäudeteil untergebracht ist, werden die vier Künstler von „Ideology + Manifestation“ nochmals vorgestellt. Dabei werden auch Gemälde-Reproduktionen so groß gezogen, dass sie eine ganzen Wand bedecken (technisch sehr gute Kopien). Es geht dabei nicht um den Wert des Originals. Für jeden der Künstler läuft ein Diskussionsvideo.

Sehr eindrücklich waren Fragen und Aussagen im Gespräch der beiden Kuratoren mit dem Künstler. Zhong Biao (wir haben uns auf ihn konzentriert). Daneben gab es einen ebenso beeindruckenden Stab an Mitarbeiter, die zuhörten, mitschrieben, Notizen machten. Es war nicht einfach herauszufinden, wer von den Sprechenden der Künstler war. Er sagte nicht „ich“ und erzählte auch keine Entstehungsgeschichten. Als er nach neuen Projekten gefragt wurde, konnte wir ihn identifizieren: er nannte als Wort-Thema „Zukunft: Aufräumen, Sortieren, Einpacken“. Bei Nachfragen blitzen immer wieder die sehr konkreten Situationen auf, die in den Gemälden als realistische Szenen wiederkehren können.

Das Video dauerte 72 Minuten. Ob man es erwerben kann, haben wir vergessen zu fragen, aber für Intereressenten gab es kostenlos ein schwarzes, Leinen gebundenes Buch, A6 Format mit 190 Seiten und fast so vielen farbigen Abbildungen von Gemälden. Sie sind nach dem lateinischen Alphabet geordnet, jeweils dem ersten Buchstaben der jinglin Umschreibung der chinesischen Zeichen.

Ein älterer Bildhauer, wurde durch zwei kleine Skulpturen und mehrere sw-Videos vorgestellt: Sui Jian Guo. Er bearbeitete Lehm und Ton Massen durch Treten, Boxen, Ritzen und Umarmen.

Seine Skulpturen, manchmal figurenhaft, waren nicht nach einem bewußten ästhetischen Formprinzip gearbeitet, sondern durch Bewegungen (=Einwirkungen) des Künstlerkörpers auf die Materialmasse. Ich brauchte nich lange auf die Videos zu schauen, ich kannte diese Arbeitsweise durch den vor einigen Jahren verstorbenen Kölner Bildhauer Heinz Breloh.

Material-Form Auseinandersetzungen scheinen sich in allen Kulturen in sehr ähnlicher, vielleicht sogar gleicher Weise umsetzen zu lassen.

Ende des Frühlingsfests

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Gestern endete das Frühlingsfest. Bis gegen Mitternacht wurde nochmals andauernd geballert. Auf dem Rückweg vom Museum hallten die Hochhausschluchten von den Schlägen wider. Man wußte nicht, wo die Böller und Kanonennschläge gezündet wurden, aber ihr Krach war überall.

Heute sieht man wieder die Schüler/innen-Pulks auf den Straßen. Immer gut ersichtlich an den Schuluniformen. Es sind Trainingsanzug ähnliche Kombinationen aus langen Hosen und Jacken. In unserer Gegend herrschen die Farben Blau, Violett, Grün, Blaugrün, Weiß vor; einige haben an den Außenseiten der Hosen weiße, spitz zulaufende Dreiecke. Das Weiduomei haben sie aktuell voll besetzt, von der Lautstärke, dem Bewegungsdrang, dem Bedürfnis, sich wieder zu rangeln und alles Süsse in sich hineinzustopfen. Die Schlange vor der Kasse ist noch nicht kürzer geworden. Ich muss wohl auf meinen Kaffee noch ein wenig warten.

Peking hat wieder eine schüttere Schneedecke.